5. Kapitel
In der Nähe von Cumberland, Maryland 1. November
John Hobart stellte den Tempomat auf Sechsundsechzig Meilen ein und machte es sich in seinem Sitz bequem. Es war ein herrlicher Abend. Die Luft war kühl, aber nicht kalt, und kristallklar. Der neue Jeep glitt so sanft wie ein RollsRoyce über den leeren Highway. Durch das gläserne Schiebedach konnte er die Sterne sehen. Gelegentlich schaute er auf die Straße, um sicherzugehen, dass er auf der richtigen Spur blieb.
Kurz vor sieben hatte er Peter Manion verlassen und sich durch den dichten Stadtverkehr geschlängelt. Nachdem er die Vororte Baltimores hinter sich hatte, war er durch die grasige Hügellandschaft Marylands gefahren. Das Radio war schwächer geworden und hatte zuletzt nur noch geknattert, sodass er eine CD mit klassischer Musik eingelegt hatte.
Es dauerte fast eine weitere Stunde, ehe er die Ausfahrt sah. Es war eigentlich weniger eine Ausfahrt, sondern eher eine schlecht instand gehaltene Asphaltstraße. Er klopfte den Takt des letzten Konzerts auf der CD mit und bog darauf ein. Dunkelheit umfing ihn, als er in flottem Tempo die steil ansteigende Strecke nahm.
Irgendwann hörte die Asphaltierung auf, der Boden war nur noch geschottert, und schließlich ging die Straße in einen Feldweg über. Er schaltete den Vierradantrieb ein, verringerte das Tempo auf knapp zehn Meilen und kämpfte sich durch die tiefen Spurrillen vorwärts. Der Weg war so schmal, dass immer wieder Äste den Wagen streiften. In der feuchten Waldluft hatten sich dicke Nebelschwaden gebildet. Hobart beugte sich vor, um besser sehen zu können, und stützte sein Kinn aufs Lenkrad.
Endlich erschien im Licht der Scheinwerfer eine kleine Lücke zwischen den Bäumen zur rechten Seite. Er fuhr vorsichtig darauf zu und anschließend eine steile Anhöhe hinab. Immer wieder schabte der Boden des Jeeps über den Untergrund, doch schließlich hatte er es geschafft und sah etwa zwanzig Meter entfernt auf einer Lichtung die kleine Hütte aus Zedernholz. Er hielt neben der großen Sonnenterrasse aus Rotholz und stellte den Motor ab.
Sein Atem bildete Dampfwolken, und unter seinen Stiefeln knirschte der gefrorene Erdboden, als er zum Kofferraum des Jeeps ging und eine große schwarze Tasche herauszog.
Die von außen eher schäbig wirkende Hütte sah im Inneren ganz anders aus. Zwar schienen die Möbel wie in vielen Wochenendhäuschen gebraucht zu sein, doch ansonsten war alles tadellos in Schuss. Die Böden waren gefegt and gebohnert, und die Küche war bestens ausgestattet. Mit der Taschenlampe in der Hand durchquerte Hobart das dunkle Wohnzimmer und zündete eine Propangaslampe an der Wand an, die ein weiches, blauweiß schimmerndes Licht spendete.
Nachdem er in einem der beiden Schlafzimmer seine Tasche ausgepackt hatte, ging er zurück zum Wagen und holte eine große Kühltasche. Sie war gut gefüllt mit verderblichen Sachen, die er während seiner langen Abwesenheiten nicht in der Hütte aufbewahren konnte. Er stellte den Kühlschrank an und verstaute die Lebensmittel. Nur ein kühles Bier behielt er für sich draußen. Schließlich zündete er den Ofen an und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Das Rauschen des Winds in den hohen Kiefern rings um die Hütte war so beruhigend, dass er bald eingeschlafen war.
Hobart fuhr zurück, als das heiße Fett auf seinen Arm spritzte. Rasch warf er den Deckel auf die Pfanne mit dem brutzelnden Schinken. Der Nebel von gestern Abend war spurlos verschwunden, und durch die Dachfenster hoch über ihm drangen die ersten Sonnenstrahlen. In hellen Morgenlicht wirkte das Haus kühl, fast unbewohnt, genauso wie sein Zuhause in Baltimore. Die Geräusche aus der Küche und der Duft nach Schinken und Eiern wirkten beinah unpassend in dieser sterilen Atmosphäre.
Er war fast mit seinem Frühstück fertig, als er hörte, wie ein Auto den steilen Weg zur Hütte hinunterrollte. Hobart schaute auf seine Uhr, schob den Stuhl zurück und wischte sich den Mund an einer Serviette ab. Fünfzehn Minuten zu früh.
Er trat auf die Terrasse und winkte Robert Swenson zu, der seinen Gruß erwiderte, indem er einen Arm aus dem Fenster seines ramponierten Cadillac streckte. Er hielt neben dem Jeep an, sprang heraus und knallte die Tür hinter sich zu.
»Was, zur Hölle, ist los, John? Vor einer Woche kommt der Reverend in mein Büro und sagt mir, dass er dich gefeuert hat. Du hast auf keinen meiner Anrufe reagiert, und plötzlich höre ich diese geheimnisvolle Botschaft auf meinem Anrufbeantworter.«
»Du hast doch niemandem erzählt, dass du hierher kommst, oder?«
»Nee, das hast du ja ziemlich deutlich gesagt. Also, was gibt’s?«
»Komm erst mal rein.« Hobart drehte sich um und ging zurück ins Haus. »Dann erzähle ich dir alles.«
Er setzte sich wieder und aß den Rest seines Frühstücks. »Kann ich dir auch was machen?«
Swenson hatte sich einen Stuhl aus dem Wohnzimmer geholt. »Nee, ich hab mir unterwegs ein Egg McMuffin besorgt. Also, was gibt’s?«
»Nichts Besonderes, Bob. Ich war diese Primadonna einfach nur leid, weißt du? Wir haben uns ordentlich die Meinung gesagt, und er hat mich gefeuert.«
Swenson nickte verständnisvoll.
Hobart hatte Robert Swenson in Vietnam kennen gelernt, als ihre Einheiten der Special Forces vorübergehend zusammengelegt worden waren. Nach Kriegsende hatten sie ganz ähnliche Wege eingeschlagen. Hobart war zur Bundesdrogenbehörde gegangen, und Swenson hatte in der Abteilung für Drogenkriminalität beim LA Police Department gearbeitet. Nachdem Hobart Sicherheitschef bei Blakes Unternehmen geworden war, hatte er seinen alten Freund als rechte Hand zu sich geholt.
»Scheiße, John, er ändert wahrscheinlich nächste Woche wieder seine Meinung.«
»Das ist kein Thema mehr. Es gibt nämlich etwas, das ich die ganze Zeit gern machen wollte, und jetzt habe ich die Chance dazu.«
Swenson schnappte sich ein Stück Schinken von Hobarts Teller. »Willst du dich selbständig machen?«
»In gewisser Weise. Und ich hab dich hergebeten, weil ich möchte, dass du bei mir mitarbeitest. Ich denke, ich kann dir etwas bieten, das befriedigender ist, als auf Simon Blake aufzupassen.«
Wie Hobart sich gedacht hatte, schien Swenson sofort interessiert.
Er war fast sechs Jahre verheiratet gewesen, als seine Frau bei einem Autounfall getötet worden war. Sie schienen eine perfekte Ehe geführt zu haben – Helen war eine der wenigen Frauen, die mit dem Leben an der Seite eines Polizisten zurechtkamen; zudem hatte Swenson das seltene Talent, Privatleben und Job strikt voneinander zu trennen, sodass nichts ihr Glück trübte. Hobart konnte sich nicht mehr genau erinnern, wann sie gestorben war. War es zehn Jahre her? Oder zwölf?
An einem klaren Abend in Chicago war Helen auf dem Heimweg vom College gewesen, wo sie Kurse besuchte. Unerklärlicherweise war auf der schnurgeraden Straße ein Laster auf die Gegenfahrbahn geraten und frontal in ihren VW-Rabbit gerast. Der Fahrer des Kleinlasters hatte überlebt, Helen war enthauptet worden. Später hatte man entdeckt, dass er unter dem Einfluss irgendeiner Droge gestanden hatte.
»Na, rede schon«, drängte Swenson.
Hobart hatte während der Fahrt zur Hütte überlegt, wie weit er Swenson einweihen sollte. Es schien keine Alternative zu geben, als das Risiko einzugehen und ihm alles zu erzählen.
»Ich habe vor, dem Drogenhandel in den Vereinigten Staaten ein Ende zu machen.«
Swenson lachte und kaute auf seinem Stück Schinken. »Sag bloß nicht, dass die DEA dich wieder genommen hat.«
»Ich meine es ernst, Bob. Amerika geht zugrunde an den Drogen – das solltest du besser wissen als jeder andere. Ich habe beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.«
»Wusste gar nicht, dass du so ein Patriot bist, John.«
»Ich betrachte es auch mehr als eine interessante Herausforderung.« Allmählich schien Swenson zu begreifen, dass er keine Scherze machte.
»Klar, theoretisch bin ich deiner Meinung, John, aber seien wir doch mal ehrlich – der Krieg gegen die Drogenmafia ist ein Witz. Wir beide haben die besten Jahre unseres Lebens damit verplempert.«
Hobart legte seine Gabel nieder und atmete tief durch. »Das ist wahr, aber ich denke, jetzt habe ich einen Weg gefunden.«
»Hast du vor, für die Präsidentschaft zu kandidieren? Ich sehe dich nicht gerade als den Typ, der dauernd Babys küsst.«
»Ich werde die Drogenlieferungen in die USA vergiften.«
Swenson ließ den Rest des Schinkenstücks auf den Tisch fallen und stand auf, ging in die Küche und schenkte sich einen Kaffee ein. Hobart machte sich wieder an sein Frühstück.
»Du meinst es tatsächlich ernst«, sagte Swenson aus der Küche. Es war eine Feststellung und keine Frage. Er kam zurück, setzte sich wieder und trank einen Schluck aus dem dampfenden Becher. Eine tiefe Falte erschien auf seiner Stirn, während er überlegte.
»Warum nicht? Du stimmst mir sicher zu, dass dann das ganze Problem schnell bereinigt wäre.«
Swenson nickte. »Ja, es würde funktionieren. Vorausgesetzt, man macht’s im richtigen Maßstab.«
Hobart hatte eigentlich eine enthusiastischere Reaktion erwartet. Wäre Swenson nicht so verbittert darüber, dass seine Frau von einem Drogenkonsumenten getötet worden war, hätte er nicht im Traum daran gedacht, ihn für dieses Unternehmen anzuheuern. Wenn Helen noch lebte, wäre er zweifellos sofort ins nächste FBI-Büro marschiert und hätte ihn verpfiffen. Aber sie lag mit abgetrenntem Kopf in einem Sarg irgendwo in Chicago, und das war der entscheidende Punkt.
Unauffällig griff Hobart unter den Tisch und schloss seine Hand um einen Baseballschläger, den er heute Morgen auf sechzig Zentimeter Länge abgesägt und dort festgeklebt hatte. Außer Robert Swenson hatte er keinen Freund, auf den diese Bezeichnung zutraf, aber er musste entweder mitmachen oder verschwinden.
Es wäre nicht weiter schwierig. Er würde Swensons Leiche in den Cadillac schaffen und ihn über den Rand einer der gewundenen Bergstraßen stoßen, die diese ganze Gegend durchzogen. Es war zwar ein Risiko, aber die hiesigen Polizisten waren keine Experten. Und es war weniger riskant, als ihn laufen zu lassen.
Swenson schwieg fast fünf Minuten lang, und Hobarts Hand begann zu schwitzen, dass der Schläger feucht und rutschig wurde. »Ich bin dabei«, sagte er schließlich. Hobart lockerte seinen Griff.
»Aber wir müssten ziemlich viel Geld zusammenkratzen, um so ein Unternehmen starten zu können.«
Bei dem Wort ›wir‹ ließ Hobart den Schläger los und wischte sich die feuchte Handfläche an der Hose ab. »Ist bereits geschehen.«
»Dann ist Blake mit dabei?«
»Nein.« Hobarts Ton und seine Miene machten klar, dass man Blakes Name besser nie wieder erwähnte. Swenson verstand und wechselte das Thema.
»Wie viele Leute brauchen wir, was meinst du?«
»Ungefähr noch acht. Ich habe sie bereits herbestellt. Der Erste kommt um drei.«
»Leute, die du schon länger kennst?«
»Zum größten Teil«, erwiderte er vage und begann die Teller vom Tisch zu räumen.
»Was ist, wenn du sie fragst und sie sind nicht interessiert?«
»Das ist mein Problem. Ich kümmere mich um die Anwerbung, und du bringst inzwischen in Baltimore alles in Ordnung, was du dort noch zu regeln hast.«
»Sag mir nur noch eins, ehe ich abfahre.«
»Klar. Was?«
»Wie, zur Hölle, wollen wir das Ganze durchziehen?«
Rasch wurde es drei Uhr. Swenson war vor knapp einer Stunde losgefahren, nachdem sie einige Einzelheiten der Aktion durchgesprochen hatten. Es war erstaunlich, wie sehr es half, mit jemandem über alles reden zu können. Ideen, die bei einsamen Grübeleien brillant erschienen waren, konnten laut ausgesprochen ganz dumm klingen.
»Johnny! Mensch, wie geht’s dir!«
Hobarts zweiter Kandidat war erschienen und kam auf das Haus zu.
Bill Karns war beim Drogendezernat in Chicago gewesen, als sie sich kennen gelernt hatten. Inzwischen hatte er den Dienst quittiert und arbeitete als privater Ermittler. Seine Frau war vor ein paar Jahren gestorben, und sonst hatte er keine Angehörigen mehr. Wenn er freie Auswahl gehabt hätte, hätte Hobart ihn vermutlich nicht ausgesucht. Seiner Meinung nach war Karns ein undisziplinierter Schwachkopf, aber er wusste, dass Karns begeistert auf seinen Plan anspringen würde. Er war mindestens so ein Fanatiker wie er selbst.
»Sieht so aus, als hättest du ein wenig zugenommen, seit ich das letzte Mal in L.A. war«, bemerkte Hobart und deutete auf die Speckrolle um Karns Taille.
»Du weißt doch, wie es ist, Johnny.« Karns war der einzige Mensch auf der Welt, der ihn Johnny nannte. Er hatte vergessen, wie sehr ihn das schon immer geärgert hatte.
»Komm rein.«
Karns schwitzte trotz der Kühle im Wald. Hobart zeigte auf den Stuhl, auf dem Swenson vorher gesessen hatte, und holte zwei Bier. Karns nickte grunzend und öffnete seine Flasche.
»Schön, dich wiederzusehen, Johnny. Es ist wirklich gottverdammt lange her.«
»Du hast doch niemandem erzählt, dass du hierher kommst, oder?«
»Wo denkst du hin! In meinem Gewerbe weiß man, was das Wort ›Diskretion‹ bedeutet.« Er nahm einen kräftigen Schluck und leerte dabei fast die ganze Flasche. »Du brauchst einen guten Privatermittler?«
»Nein. Aber ich habe tatsächlich einen Job für dich. Gute Bezahlung, auch wenn du es vermutlich umsonst tun würdest.«
Karns schien interessiert, was ihn allerdings nicht daran hinderte, sein restliches Bier in einem Zug auszutrinken. Sehnsüchtig schaute er auf Hobarts Flasche, der den Wink verstand und sie ihm zuschob. Dann ließ er unauffällig seine Hand unter den Tisch gleiten und umfasste den Schläger.
»Ich baue gerade eine Organisation auf, die dafür sorgen wird, dass in Amerika niemand mehr Drogen nimmt«, sagte er schlicht.
Karns lachte. »Tatsächlich? Wie, zur Hölle, willst du das denn anstellen?« Er griff nach der Bierflasche.
»Indem ich das ganze Zeug vergifte.«
Karns vergaß, die Flasche an den Mund zu heben. »Ehrlich wahr?«
»Ehrlich wahr.« Er konnte direkt sehen, wie sich die Rädchen in Karns’ Kopf langsam zu drehen begannen. Eine andere Geschwindigkeit hatten sie auch nicht.
Karns schob seinen Stuhl zurück und schlug sich lachend auf die Schenkel. »Scheiße! Da würden die Nigger und Latinos ganz schön dumm gucken!«
Hobart lächelte. »Bestimmt. Also, bist du dabei?«
Karns stellte seine Bierflasche auf den Tisch. »Du meinst es wirklich ernst?«
Hobart nahm eine Aktentasche vom Boden und öffnete sie. »Das sind fünfzigtausend Dollar. Dein Vorschuss.«
Karns’ Augen klebten förmlich auf den ordentlich gebündelten Stapeln von Hundertdollarscheinen. Er tastete nach der Bierflasche und hätte sie fast umgestoßen.
»Also bist du dabei?«
»Scheiße, und ob!« Er strich über die Geldbündel, zog eines heraus und fächerte es wie ein Kartenspiel auf. Dann schaute er Hobart an. »Du hast Recht, weißt du.«
»Womit?«
»Ich hätte es auch umsonst getan.«
Er hatte mehr Glück gehabt als erhofft. Der Schläger klebte immer noch unbenutzt unter der Tischplatte in der Küche. Die restlichen sechs Kandidaten waren im Verlauf der letzten Woche nach und nach erschienen, doch bei ihnen hatte es etwas mehr Mühe gebraucht als bei Karns, dessen Leben man auf einer Postkarte zusammenfassen könnte. Hobart hatte Mahlzeiten serviert, war mit ihnen gewandert, Boot gefahren und auf die Jagd gegangen. Er hatte sie gründlich ausgeforscht, ob es irgendwelche ernsthaften Beziehungen zu Frauen gab, Bindungen an Jobs, an das Zuhause, an kranke Verwandte, ob sie fest zementierte Zukunftspläne hatten und so weiter. Erst wenn er mit ihren Antworten zufrieden gewesen war, hatte er die entscheidende Frage gestellt.
Es hatte einige angespannte Augenblicke gegeben; manche waren etwas unentschlossen, andere begeistert, und am Ende hatten alle zugestimmt. Hobart hatte damit gerechnet, dass wenigstens einer von ihnen verschwinden müsste, wahrscheinlicher sogar eher zwei, und war mehr als erleichtert.
Die übrigen sechs waren allesamt bessere Männer als Karns, der sich jedoch in eine Sache richtig verbeißen konnte und ihm treu ergeben war. Karns würde bei ihm bleiben bis zum Ende, ganz egal unter welchen Umständen. Die anderen würden auf der Hut sein vor dem FBI und den Dealern und aussteigen, falls es zu brenzlig wurde. Aber im Gegensatz zu Karns waren sie intelligent, hatten Erfahrung und waren in der Lage, eine solche Aktion reibungslos durchzuführen.
Hobart verlangsamte kurz vor Baltimore das Tempo seines Wagens, um die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbeschränkung einzuhalten. Er hoffte, im Verlauf des nächsten Jahres nicht das Geringste mit der Polizei zu tun zu haben.
»Peter! Schön, dich zu sehen!« Hobart saß in seinem Lieblingssessel neben der Tür, als Peter Manion in das trüb erleuchtete Zimmer trat. Neben sich hatte er auf dem behelfsmäßigen Tisch zur Einschüchterung seine 45er gelegt.
»Hallo, John«, murmelte Manion. Er kniff seine glasigen Augen zusammen, um deutlicher zu sehen. Seine Sprechweise klang ein wenig unsicher.
Die Tatsache, dass Manion nicht erschrocken war, verriet Hobart, dass er sich wahrscheinlich mit einer ordentlichen Dosis Heroin für ihr Treffen gestärkt hatte. Sicher hatte er die zehntausend Dollar, die er bei seinem ersten Besuch dagelassen hatte, gleich in Stoff investiert.
»Was hast du für mich?«
Manion ging zu einem großen Bücherstapel, der letztes Mal noch nicht da gewesen war. Die Einbände waren frei von Staub und Gläserringen, die sonst alles andere im Haus bedeckten.
»Orellanin«, sagte Manion und hielt ein Buch hoch.
»Wie?«
»Orellanin. Das ist genau das Richtige für Sie.« Manion war merklich munterer geworden. Sein fanatisches Interesse an Drogen und Chemie schien ihn den Grund für ihre Unterhaltung völlig vergessen zu lassen.
»Nie davon gehört.«
»Wundert mich nicht, Mann. Es wird aus einem Pilz gewonnen, der hauptsächlich in Polen wächst. Der Cortinarius orellanus.«
Hobart schaute ihn ungläubig an. Wollte der Kerl sich etwa über ihn lustig machen? Einen Moment lang fragte er sich sogar, ob etwa die Polizei schon draußen vor der Tür stünde, aber das war ausgeschlossen. Er hatte sich vorsichtshalber noch mal die Bänder angehört, die er mit Hilfe der installierten Wanzen aufgezeichnet hatte, und war durch das ganze Haus gegangen, ehe sein Bewohner gekommen war. Er griff nach der 45er und richtete sie auf den überraschten Peter Manion.
»Ich bin heute nicht in der Stimmung für Scherze, Petey. Überhaupt nicht.«
Manion ließ das Buch fallen und wich mit ausgestreckten Händen in eine Ecke. »Nicht schießen, Mensch! Ich meine es ernst. Dieses Zeug ist perfekt.«
»Ich höre. Aber ich hoffe für dich, du hast in deinem gescheiten Kopf was wirklich Brauchbares ausgebrütet.«
Manion ging langsam um das zerlumpte Sofa herum, ohne Hobart den Rücken zuzuwenden. Als er sich setzte, stieg eine Staubwolke rings um ihn auf. »Na ja, das Problem beim Vergiften von Koks und Heroin liegt nicht darin, das Zeug in die Drogen reinzukriegen – das ist leicht. Das Problem beginnt bei der Verteilung.«
Hobart lehnte sich zurück und zog einen kleinen Block aus seiner Jackentasche. Er kramte nach einem Stift. »Weiter.«
Manion, der sich jetzt wieder etwas wohler zu fühlen schien, fuhr fort. »Sagen wir mal, Sie kippen einfach einen Haufen, na … meinetwegen Arsen in ein Fass, in dem man Koks zusammenbraut. Kein Problem, ist ganz leicht, stimmt’s?«
Hobart nickte.
»Aber es würde überhaupt nichts bringen. Beim Kauf probiert meist der Dealer den Stoff, damit man ihm nicht einfach zwanzig Kilo Babypuder andreht. Tja – und dann kippt er tot um. Wer kauft danach noch den Dreck?«
Hobart zuckte die Schultern. Ein berechtigter Einwand. »Und was wäre die Lösung?«
»Hab ich doch schon gesagt. Orellanin.« Manion hob das Buch auf, das er fallen gelassen hatte, und hielt es an seine Brust. Hobart konnte nur das Bild eines Pilzes auf dem Umschlag erkennen.
»Das Tolle an diesem Zeug ist, dass es so was wie eine um zwei Wochen verspätete Reaktion hat. Angenommen, man setzt sich einen Schuss.« Er tat, als spritze er sich etwas in den Arm. »Du fühlst dich toll, während das Gift sich auf den Weg zu deiner Leber und den Nieren macht. Und wenn du anfängst, dich beschissen zu fühlen, ist es längst zu spät. Deine wichtigsten Organe sind Matsch. Die einzige Möglichkeit, dich zu retten, ist eine Transplantation – und dafür ist nicht mehr genug Zeit.«
»Was ist, wenn ein Arzt es frühzeitig herausfindet? Könnte er dem Patienten ein Gegenmittel geben?«
»Es gibt keins, Mann. Ich glaube, ein paar Leute, die diese Pilze gegessen haben, sind gerettet worden, indem man ihnen sofort den Magen ausgepumpt hat. Das bringt aber hier nichts, da man Koks und Heroin nicht isst. Natürlich könnte ein kompletter Blutaustausch gleich nach der Vergiftung vielleicht was nutzen. Aber das vermute ich bloß.«
»Also muss ich eine Ladung Pilze zerquetschen?«
»Nee, das Gift muss extrahiert werden, aber das ist kinderleicht.«
Hobart lächelte. »Du wirst bestimmt keinerlei Schwierigkeiten damit haben.«
»He, Mann, ich hab nicht gemeint …«
»Ich habe ein hübsches Lagerhaus«, unterbrach ihn Hobart. »Wir statten dich aus mit allem, was du brauchst. Warte ab, wir stellen dir ein Labor zusammen, auf das selbst eine Uni neidisch wäre.«
Manion vermisste es oft, nach Herzenslust experimentieren zu können, und der Gedanke, wieder einmal umgeben zu sein von dampfenden Glaskolben, Bunsenbrennern und Mikroskopen, schien ihm sichtlich zu gefallen.
»Okay, Peter, wie viele von diesen Pilzen brauchen wir?«
»Hängt davon ab, wie viel Zeug Sie vergiften wollen.«
»Sagen wir mal … fünfzig Kilo.«
Manion tippte sich ans Kinn und rechnete. »Dafür braucht man eine ganze Menge Pilze. Annähernd eine Tonne.«
Hobart atmete tief durch. »So viel? Scheiße. Gibt es sonst noch was, das ich verwenden könnte?« Die Sache wurde komplizierter, als er erwartet hatte. Wie es oft der Fall war, hatte in der Theorie alles viel leichter ausgesehen.
»Wenn es darum geht, das Zeug bei der Herstellung damit zu versetzen, wahrscheinlich nicht. Sie brauchen diese Verzögerung, Mann. Nur dadurch funktioniert die ganze Sache. Bei Paraquat wäre sie zum Beispiel kürzer.«
Hobart horchte auf. Die DEA hatte Paraquat damals in den Siebzigern benutzt. »Das Entlaubungsmittel?«
»Ja, ist ein Herbizid. Zwei Tage Verzögerung – leicht zu kriegen. Ich glaube, es heißt heute StarFire. Zwei Tage bringen Ihnen aber nicht viel.«
Hobart überlegte. Manion hatte Recht, das genügte nicht. Es musste Orellanin sein. »Was ist mit dem Zeug, das wir direkt vergiften, bevor es auf der Straße abgesetzt wird?«
»Da gibt’s keine Probleme. Kaufen Sie sich einfach ein Rattengift auf Zyankalibasis.«
Hobart nickte. »Also – wie versetze ich das Zeug in einer Raffinerie mit Gift?«
Manion nahm einen Kartoffelchip von einem Teller voller schimmeliger Reste und begann ihn zu kauen. »Ach, das ist ganz einfach.«